Reportage: Vincent Büssow
Europa macht seine Grenzen zu. Ein Land nach dem anderen sagt, dass es keinen Platz mehr habe, um die fliehenden Menschen aufzunehmen, die täglich von Rettungsbooten aus dem Mittelmeer geborgen werden. Griechenland. Türkei. Italien. Wer ein neues Leben im Paradies Europa sucht, muss inzwischen weit an dessen Mauern entlanggehen. Einer der letzten Eingänge ist Südspanien. In der Region Andalusien gibt es Häfen, in denen immer noch zahlreiche Migranten ankommen. Die anliegenden Städte sind in einer völlig ungewohnten Situation, und mit der Aufnahme von Flüchtlingen komplett überfordert. Es ist ein Konflikt von Geld und Moral.
Algeciras ist einer dieser Orte. Die etwa 120.000 Einwohner starke Stadt liegt nur 25 Minuten vom südlichsten bewohnten Ort Europas. Sucht man den Vergleich mit spanischen Großstädten wie Barcelona oder Madrid, kann man sich das Leben dort unmöglich vorstellen: „Es ist keine Tourismus-Hochburg”, sagt Taxifahrer Álvaro. „Wir helfen aber dennoch jedem, der von außerhalb kommt“. Und warum auch nicht? Algeciras setzt sich mit gigantischen blumengeschmückten Brunnen, Statuen und Straßenverzierungen in Szene. Es ist fast zu viel für die Sinne, und kann auf den ersten Eindruck blenden.
VIDEO: Eine Busfahrt nach Algeciras
Gleichzeitig liegt in Algeciras einer von wenigen Häfen, in denen 2018 mehr als 40.000 Menschen ankamen, die über das Mittelmeer nach Spanien flohen. Mehr als dreimal so viele wie im Jahr zuvor. Sie werden Abseits des Ortes in provisorisch umfunktionierten Gebäuden untergebracht, darunter ein altes Gefängnis und eine ehemalige Militärkaserne.

Flüchtlinge werden mit dem Bus aus dem Internierungszentrum abgeholt.
In diesen Internierungszentren warten Flüchtlinge aus aller Welt auf ein Urteil darüber, was mit ihnen passiert. Reicht der Platz nicht mehr aus, rollt ein Konvoi von Bussen mit schwarz-getönten Scheiben vorbei. Gestalten mit starrem Blick steigen ein, um in ein anderes Zentrum gebracht zu werden. Schaut man genau hin erkennt man, dass sie alle das gleiche Band um den Arm haben. Rund um die Uhr wird das Ganze von der Polizei beaufsichtigt.
4000 Migranten sind zur Zeit in Algeciras gemeldet. Niemand weiß wie viele es in wirklichkeit sind. Von den neuen Bewohnern bekommt man bei einem Spaziergang durch die schmalen, steilen Gassen in allerlei beige-Tönen zwar nichts mit, trotzdem ist das Thema unter Orangenbäumen und in gemütlichen Cafés sehr präsent. Die Wahl der ultrarechten Partei „Vox“ ins andalusische Parlament zeigt, dass rationale Lösungen immer weniger willkommen sind.
Cándido Romaguera setzt sich viel mit dem Thema auseinander: „Bei den Leuten beginnt die Angst um sich zu greifen, dass die Migranten ihnen die Arbeit wegnehmen, sie Krankheiten verbreiten, dies und jenes tun.“ Er ist Radiomoderator in Algeciras und merkt, dass sich die Menschen seiner Stadt mehr und mehr sorgen. Nicht ohne Grund, wie er findet: „Die zur Hilfeleistung erforderlichen Ressourcen sind einfach nicht vorhanden, angefangen bei der notwendigen Infrastruktur und den finanziellen Mitteln.“ Und tatsächlich: Von jeder blumigen Freizeitfestung ist es nicht weit bis zur nächsten Bauruine. Abseits der Hauptstraßen bröckelt der Putz an überwachsenen Gebäuden, die nur noch von streunenden Katzen bewohnt werden.

Cándido Romaguera, Moderator bei Radio „Ser“
„Als sich die Zahl der Migranten noch auf dem gewohnten Niveau bewegte, reichten die verfügbaren Einrichtungen aus.“, erklärt Romaguera. „Dann brach jedoch das Internierungszentrum für Ausländer zusammen, und die zuständigen Polizeidienststellen kollabierten. Die Stadtverwaltung muss seitdem die notwendigen Mittel aus einem Haushalt entnehmen, der dafür keine Finanzmittel vorgesehen hatte.“
Algeciras, mit all seinen Palmen, dem Blick auf das Meer und Restaurants mit traditioneller Küche, ist nicht so wie es scheint. Die Einheimischen und Migranten bekommen zwar voneinander kaum etwas mit, leiden jedoch unter den gleichen Problemen.
Trotz den Problemen seiner Region, auf der Straße oder im Parlament, verliert Romaguera nicht die Hoffnung. Wie viele andere appelliert er stattdessen an die Europäische Union: „Wenn wir schon das Einfallstor nach Europa sind, dann lasst uns nicht im Stich.“