„Woher das Geld kommt, ist unbekannt. Es ist eben da beziehungsweise nicht da – meist nicht da.“

Kurt Tucholsky
Text: Christopher Hechler

Als im Jahr  2007 die Spekulationsblase im US-Immobilienmarkt platzte und große Teile des Finanzsektors zusammenbrachen, waren die Auswirkungen global: eine neue Finanzkrise war geboren. Im europäischen Raum hat es unter anderem Spanien hart getroffen. Aktuell sind dort noch immer knapp 15% der Bevölkerung arbeitslos, die Zukunftsperspektiven der Jugend sind düster. Zwar hat sich die Gesamtsituation in den letzten Jahren stabilisiert, vom Zustand vor 2007/08 ist man aber noch weit entfernt. Die nächste mögliche Krise zeichnet sich zudem schon ab: Katalonien, die wirtschaftsstärkste autonome Region Spaniens, möchte unabhängig werden. Ein solches Ereignis wäre ein europäischer Präzedenzfall und hätte nicht nur für Spanien weitreichende Folgen.

Auswirkungen in Spanien

In den 15 Jahren vor der Krise konnten sich die Spanier über ein überdurchschnittlich hohes Wirtschaftswachstum freuen. Bereits im zweiten Quartal 2008, also ein gutes Jahr nach Beginn der Abwärtsspirale in den USA, kam Spanien in eine Rezession. Das Auftragsvolumen ging zurück. Viele Firmen mussten Insolvenz anmelden. Während 2007 noch etwa 8% der Bevölkerung arbeitslos waren, stieg die Zahl bis zum Höhepunkt der Rezession im Jahr 2013 auf 26,1% stetig an. Noch heute ist Spanien direkt hinter Griechenland mit knapp 15% Arbeitslosigkeit auf dem zweiten Platz im europäischen Vergleich. Die Staatsverschuldung, die 2008 noch bei moderaten 40% lag, stieg bis Ende 2018 auf über 98%.

Die wiedergewählte Zapatero-Regierung beschloss mit „Plan E“ das europaweit größte Konjunkturpaket. Unter anderem wurden Baumaßnahmen gefördert, Arbeitslose unterstützt und einzelne Maßnahmen wie eine Abwrackprämie für Autos ins Leben gerufen. Trotzdem offenbarte die Finanzkrise, vor allem im Bau- und Bankensektor, lange entwickelte, landesinterne Fehlentwicklungen. Ähnlich wie in den USA verloren Immobilien massiv an Wert, zusätzlich konnten viele Kreditnehmer ihre Schulden nicht mehr zahlen. Gegen die zunehmenden Zwangsversteigerungen wehrte sich die Bevölkerung. In den Jahren 2011 und 2012 erlebte Spanien große Proteste, die sicherlich auch zum Teil in der angespannten Immobilien-Situation ihren Ursprung fanden. Bevor Spanien 2014 den europäischen Rettungsschirm verlassen konnte, stürzte es in die Eurokrise.

Kataloniens Ruf nach Unabhängigkeit

https://www.dpa-news.de/mediaobject.jsf?moid=59793053&nh=epqyd4.5

Die Uanhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, finden ihren Ursprung auch in den ökonomischen Schwierigkeiten Spaniens.

Die separatistische Bewegung Kataloniens ist aktuell in aller Munde und aus wirtschaftlicher Sicht ebenso spannend wie heikel. Neben den kulturellen und historischen Faktoren findet sich das Bestreben der Regionen nach Unabhängigkeit von Spanien auch in der Empfindung wirtschaftlicher Unfairness begründet. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 220 Milliarden Euro ist Katalonien allein wirtschaftlich stärker als etwa Portugal oder Rumänien und leistet einen erheblichen Anteil am gesamt-spanischen BIP. Aufgrund ihrer hohen Einnahmen müssen die Katalanen auch die größten Ausgleichszahlungen an die Zentralregierung in Madrid abtreten. Für die Befürworter der separatistischen Bewegung ist hierbei klar: der Gegenwert stimmt nicht mehr. Trotz allem ist Katalonien gleichzeitig auch die am höchsten verschuldete Region Spaniens. Die Probleme des Arbeitsmarkts ziehen auch an den Katalanen nicht vorbei. Viele der arbeitenden Menschen leben in prekären Verhältnissen, bekommen nur geringen Lohn oder befristete Verträge, oft beides. Ein Zustand, der sich auch in anderen EU- Mitgliedsstaaten durch neoliberale Politik etabliert hat. Ein weiteres Problem offenbart sich beim Bildungsgrad der Katalanen: Im europäischen Vergleich haben überdurchschnittlich viele Menschen einen akademischen Bildungsgrad, aber auch überdurchschnittlich viele maximal einen mittleren Abschluss.

Katalonien bekommt seine Unabhängigkeit – und dann?

Die Befürworter der Unabhängigkeit sind sich einig: Katalonien würde ohne Spanien besser dastehen. Wirtschaftlich wäre die Region stark genug. Durch den Wegfall der hohen Zahlungen an Madrid könnte man sich auf sich selbst fokussieren. Voraussetzung wäre allerdings, dass Katalonien EU-Mitgliedsstaat würde. Aus Brüssel kam diesbezüglich ein klares Statement: Katalonien sei nicht automatisch Mitgliedsstaat, sondern müsse den normalen Aufnahmeprozess durchlaufen. Ein Vorgang, der sich hinziehen kann und für ortsansässige Großunternehmen wie VW einen Grund bieten würde, Katalonien zu verlassen. Von den vielen Vorteilen des freien Handels in der EU bliebe wenig übrig. Eine logische Konsequenz könnten beispielsweise Steuervergütungen für Unternehmen sein. Ein Vorgehen, das in der globalen, neoliberalen Politik durchaus Anwendung findet. Wie sehr sich die Katalanen dann allerdings noch einen Gefallen getan hätten, bliebe offen.

Ramon Tremosa, Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die liberale ALDE-Fraktion, sagt in einem Interview mit der WELT, dass die EU Katalonien nicht aus der Euro-Zone ausschließen werde. Katalonien sei viel zu wirtschaftsstark. Zudem hätte die EU kein Interesse daran, in Südeuropa eine Steueroase entstehen zu lassen. Die Begründungen der separatistischen Bewegung Kataloniens für die Unabhängigkeit von Spanien sind also nachvollziehbar, stehen aber insgesamt auf wackeligen Beinen. Neben den eigenen Risiken müsste man zudem in Kauf nehmen, Spanien in die Gefahr eines Staatsbankrotts zu bringen.